Industrialisierung und Migration

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Blick auf die Zeche Shamrock in Herne

Susanne Peters-Schildgen

1757 bestand das "Kirchdorf" Herne aus lediglich 116 Häusern. Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb dieser dörflich-bäuerliche Charakter nahezu unverändert. Danach überschritt der Bergbau den Hellweg und rückte in die dünnnnbesiedelte Emscherzone vor, die bis zur Jahrhundertwende eine gewaltige Umstrukturierung durchlief. Anfang 1900 lebten bereits mehr als 100.000 Menschen in den zum heutigen Stadtgebiet gehörenden Gemeinden.

Die Voraussetzung für die industrielle Erschließung des nördlichen Ruhrreviers, die diesen enormen Bevölkerungszuwachs auslöste, bildete die Köln-Mindener-Eisenbahn. 1847 wurde die Teilstrecke Duisburg-Hamm fertiggestellt, die auch durch Herne, Bickern (Wanne) und Röhlinghausen führte. Kurze Zeit später entstanden die ersten Kohlenzechen auf Herner und Wanne-Eickeler Gebiet, von denen vier auf ausländisches Unternehmertum zurückzuführen sind. 1854 kam der irische Landvermesser, Ingenieur und Kommissar für öffentliche Angelegenheiten, William Thomas Mulvany, nach Westfalen, um dort mit dem Kapital reicher Geldgeber und der Unterstützung in England angeworbener Fachkräfte Kohlenbergwerke zu errichten. 1856 begann er mit der Abteufung der "Zeche Shamrock" (Kleeblatt). Als Wahrzeichen Irlands verweist das Kleeblatt auf die Herkunft Mulvanys, der außerdem Gründer der Zechen "Hibernia" in Gelsenkirchen und "Erin" in Castrop-Rauxel war.

Grabstein für Izabella Griffith geb. Marion (1806 - 1865) auf dem ehemligen Friedhof im Park an der Behrensstraße in Herne.

Im Gemeindebezirk Baukau wurden ab 1863/1864 die Zeche "Providence" (Von der Heydt) und ab 1867 die Zeche "Barillon" (Julia) errichtet. Mit der Zeche "Clerget" (Recklinghausen) bildeten sie eine zusammenhängende Gewerkschaftsgruppe namens "Société civil belge de charbonnage d'Herne Bochum" mit dem Sitz in Namur, die von dem Franzosen Carabin und dem in Paris ansässigen deutschen Ingenieur Demmler geleitet wurde. 1898 erwarb die Harpener Bergbau AG den Besitz dieser belgischen Gesellschaft und ersetzte die französischen Namen durch deutsche.

Belegschaft der Zeche Julia, Revier I in Baukau, 1889

Die 1872 von dem Bauingenieur Joseph Monin aus Marseille und dem Pensioner Franz August Vivier aus Lyon gegründete Zechengewerkschaft "Mont-Cenis" leitete einen rapiden Strukturwandel in dem erst 1928 nach Herne eingemeindeten Amt Sodingen ein. Nach der lnbetriebnahme der Zeche "Mont-Cenis" gehörten 415 von insgesamt 485 Einwohnern zur Belegschaft.

Der ständig zunehmende Bedarf an Arbeitskräften konnte bald nicht mehr durch Zuwanderer aus den Nachbargemeinden und Westfalen gedeckt werden. Das Einzugsgebiet weitete sich auf ganz Deutschland, nach der Reichsgründung von 1870/1871 auch auf die preußischen Ostprovinzen, Österreich-Ungarn und andere Teile Europas aus. Die Erwerbssuchenden strömten nun in Massen in die junge aufstrebende Industrieregion. Der Aufruf eines Agenten zur Anwerbung von masurischen Bergarbeitern für die Zeche "Viktor" in Rauxel aus dem Jahre 1887 verdeutlicht, welche Argumente den entscheidenden Anstoß für die Abwanderung zumeist junger, harte körperliche Arbeit gewohnter Männer nach Westfalen gaben. Ein einziger Werbebesuch an einem Ort löste gewöhnlich eine anhaltende Dauerwanderung aus, da die ersten angeworbenen Auswanderer durch Mundpropaganda oder durch Briefe ihre Verwandten und Bekannten ins Revier lockten. Anfang des Jahrhunderts überschritt der Anteil polnischsprachiger Belegschaftsmitglieder auf den Zechen "Friedrich der Große" in Horsthausen, "Von der Heydt" und "Julia" in Baukau, "Pluto" und "Unser Fritz" in Wanne 50 %, weshalb man von "Polenzechen" sprach.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Stadt Herne[1]
Der Text wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet.

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Quellen