Physische, chemische und biologische Bedrohungen des Grabsteinbestandes jüdischer Friedhöfe

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
Der Originaltext/Artikel dieser Seite stammt von Kurt Tohermes und wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet.
Autor Kurt Tohermes
Erscheinungsdatum 1987, in: Sie werden nicht vergessen sein, S. 74 und 75

Alle Materialien, die zur Schaffung jüdischer Grabmale verwendet werden, unterliegen einer Verwitterung durch die Einflüsse der Natur. Dieser natürliche Prozess ist besonders seit der Industrialisierung des hiesigen Raumes durch zusätzliche Faktoren beschleunigt worden. Der wissenschaftliche Streit um die Ursache ist bis heute. nicht beigelegt worden, was die Einleitung konservierender Maßnahmen verzögert. Schon die Bestimmung des häufig zu findenden schwarzen Belags auf Grabsteinen ist nicht eindeutig. Einige Wissenschaftler deuten diese Verfärbung als eine Einlagerung von getrocknetem Chlorophyll, während die Mehrheit Ruß als Ursache der Verfärbung angibt. Wegen der Komplexität des Problems können im Rahmen dieser Arbeit die einzelnen Faktoren nur kurz dargestellt werden.

Biologisch gesehen stellt der Porenraum eines Grabsteins ein Ökosystem dar, in dem eine umfangreiche Mikroflora und -fauna zu finden ist. Spinnen, Milben, Flechten, Algen, Pilze und Bakterien leben im Grabstein und verändern seine Lebensdauer. Chemolithotrophe Bakterien erzeugen z. B. Salpetersäure. Biologische Faktoren allein können einen aus Kalksandstein angefertigten Grabstein unter ungünstigen Bedingungen in 20 Jahren zerstören. Eine Sanierung von Grabsteinen ist nicht ratsam, solange die biologischen Vorgänge in den einzelnen Steinarten nicht bekannt sind. So ist Granit gegenüber den Stoffwechselprodukten von Pilzen (u.a. Essigsäure, Ameisensäure) weitgehend unempfindlich, während weißer italienischer Marmor durch diese Stoffe angegriffen wird.

Physikalische Schäden werden durch Wind, Frost und Regen hervorgerufen. Besonders auf dem Friedhof Hoverskamp sind diese Schäden an der Wetterseite (Osten) der Grabsteine aus Kalksandstein zu sehen. Da hier ab ca. 1900 die hebräischen Texte angebracht wurden, ist die vollständige Erfassung der Inschriften heute nicht mehr möglich. Frostsprengung, Randverwitterung und Salzbildung zerstören die Buchstaben. Auch Verkrustungen aus Gips und Mikrokarste beeinträchtigen die Entzifferung der Texte. Auf dem Friedhof Eickeler Bruch sind dagegen mehr Schäden durch Wurzelsprengung zu finden, da mehrere Steine durch Kriegseinwirkung umgeworfen wurden und einige Jahre von Efeu und anderen Pflanzen überwuchert gewesen sind. Auch auf diesem Friedhof zeigt sich die bessere Haltbarkeit von Basalt gegenüber Kalksandstein und Marmor.

Nicht vergessen werden sollen die antisemitischen Überfälle, die immer wieder auf die Friedhöfe verübt worden sind. Ihnen sind bisher mehr Steine zum Opfer gefallen als durch alle anderen Ursachen.

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Quellen

Sie werden nicht vergessen sein - Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel (Ausstellungsdokumentation), Herausgeber: Der Oberstadtdirektor der Stadt Herne, 1987